Digitale Gegenwart vermitteln. 2020

Interview von Gila Kolb mit mir, für thearteducatorstalk.net, 10.02.2020

Interview also available in english

In welchem Kontext arbeitest Du als KunstvermittlerIn – und wie kamst Du dazu?

Ich habe 2014 die Kunstvermittlung am HeK (Haus der elektronischen Künste Basel) aufgebaut, inzwischen sind wir zu zweit in der Vermittlung und ich arbeite nicht mehr alleine verantwortlich.
Davor habe ich Kunst studiert, zuerst bildende Kunst in Zürich, dann digitale Kunst in Wien. Ich habe länger im akademischen Feld gearbeitet, als Assistentin in Wien und Zürich, daneben auch meine eigene künstlerische Praxis verfolgt.
Zur Vermittlung kam ich über mein intensives Interesse an den Phänomenen des Digitalen. Als das HeK 2013 neu gegründet wurde und dafür eine Stelle für Vermittlung geschaffen hatte, fand ich diese Konstellation sehr interessant und habe ein Vermittlungskonzept entwickelt, das ich dann am HeK umsetzen und weiterentwickeln konnte.
Seit einiger Zeit arbeite ich auch in Forschungszusammenhängen, die nicht im Vermittlungsbereich direkt angesiedelt sind, aber trotzdem interessante Perspektiven eröffnen. Weiter kommen immer wieder unabhängige Projekte hinzu.

Mit wem arbeitest Du zusammen?

Ich arbeite eng mit dem ganzen Team des HeK zusammen. Es ist ein kleines Haus, die Wege sind kurz und die Hierarchien flach, das ermöglicht eine sehr enge Zusammenarbeit mit allen Bereichen. Zum internen Team kommt noch ein Team von freien Mitarbeiter*innen, mit denen ich v.a. im Bereich Workshops zusammenarbeite.
Dann arbeite ich im Forschungskontext mit dem Theoretiker Felix Stalder und der Künstlerin Cornelia Sollfrank, bei den freien Projekten mit Gleichgesinnten aus unterschiedlichen Bereichen der digitalen Kultur und Kunst.

Was verstehst Du unter Kunstvermittlung?

Mich interessiert Vermittlung als Handlungsraum, in dem alternative ästhetische Praktiken möglich werden.
In meinem Herzen bin ich auch immer etwas Künstlerin, und ich betrachte meine Praxis (auch als Forschende und Lehrende an Hochschulen) als erweiterte künstlerische Praxis. Ich habe mich, wie gesagt, immer sehr für das Wesen des Digitalen interessiert. Die Kunst ist eine tolle Möglichkeit, darüber angewandt nachzudenken. Und nach den vielen Jahren am HeK finde ich Kunstvermittlung ist die noch bessere Möglichkeit, in einem grösseren und freieren Rahmen ebenfalls darüber angewandt nachzudenken. In meiner Arbeit habe ich als Kontexte die digitalen Technologien, die elektronische Kunst und die Kultur als sozialen Echoraum der digitalen Gegenwart zur Verfügung. Das alles ist mein Material. Ich versuche, dazu gemeinschaftliche, kulturelle Formen zu erfinden, stattfinden zu lassen, in denen wir (das heisst all die verschiedenen darin involvierten Menschen, also auch ich als Vermittlerin) Erfahrungen machen können. Ich finde diese Arbeit grossartig.

In was für einem Verhältnis stehen Vermittlung und Kunst (für Dich) zueinander?

Kunstvermittlung hat in meinen Augen ein noch lange nicht ausgeschöpftes, subversives Potential, die marktbasierende Logik des Kunstsystems zu unterlaufen und Kunst aus ihrem einsamen Käfig des Anzubetenden zu befreien und für eine breite ästhetische Praxis zu öffnen. Für mich ist das zentral. Es ist klar, dass dies oft zu Konflikten mit Werk- und Autorenschaftsbegriffen führt. Und es ist hilfreich zu verstehen, dass diese Konflikte Teil einer ganz bestimmten kulturellen Ordnung sind. Um es etwas zugespitzt zu sagen: diese kulturelle Ordnung kennt nur Autor, Werk und Rezipient, mit klar voneinander getrennten Rollen. Diese Ordnung ist keine universelle Tatsache, sondern findet in einer ganz bestimmten kulturgeschichtlichen Situation statt, und ist zutiefst geprägt von ökonomischen, politischen und ideologischen Bedingungen (darum auch das Maskulinum der Akteure, da diese Ordnung natürlich auch eine der sozialen Differenz ist). Es ist nicht in meinem Interesse als Vermittlerin diese Ordnung zu stützen, da diese Ordnung ein massgeblicher Grund für die prekäre Situation der Vermittlungspraxis ist.
Meine Arbeit im Kontext der digitalen Kunst kommt dieser kritischen Haltung entgegen, weil die Medienkunst eine lange Geschichte hat, genau diese kulturelle Ordnung in Frage zu stellen und alternative ästhetische Praktiken und Selbstverständnisse hervorzubringen.

Variation des John Travolta Memes eines Teilnehmers am Animated GIF Workshop, HeK, 2017

Warum (zeitgenössische) Kunst vermitteln?

Ich stehe dem Vermittlungsbegriff sehr skeptisch gegenüber, weil er einige Dinge als gegeben setzt, mit denen ich nicht einverstanden bin. Das sind vor allem die normativen Setzungen der kulturellen Ordnung. Ich bin nicht der Meinung, dass Kunst vermittelt werden muss. Ich bin der Meinung, dass ästhetische Praxis praktiziert werden muss, und nur so sie sich verbreiten kann. Das ist nicht dasselbe, und ich finde, man kann nicht genug auf dem Unterschied bestehen.

In welchem Verhältnis siehst Du die Praxis des Kuratierens und der Vermittlung?

Ich sage manchmal, dass ich das Vermittlungsprogramm kuratiere. Damit will ich sagen: Ich mache eine Zusammenstellung, eine Komposition von Situationen, Praktiken, Angeboten. Ich finde, das ist sehr wohl eine ästhetische Praxis, und wenn man wollte, könnte man daraus auch einen Werkbegriff ableiten, was mich aber nicht weiter interessiert. Ich glaube, dies als ästhetische Praxis zu sehen ist sehr mächtig, auch weil sich die Vermittlung dann nicht immer von der Kuration abgrenzen muss und umgekehrt. Es gibt einen Bereich, in dem sich die beiden überschneiden, und diesen Bereich muss man feiern, weil es dadurch für alle interessanter wird.

Warum ist Kunstvermittlung für ein Museum / eine Institution wichtig?

Ich finde das ist ein sehr ambivalentes Terrain, da es um Legitimation geht. Es gibt Kunstinstitutionen, die sich dem modernistischen Kunstbegriff verschrieben haben, der die Autonomie der Kunst über alles stellt. Diese Autonomie ist aber ein Problem, weil sie sich allen Anschlüssen verweigert. Rahel Puffert hat diesen Zwiespalt sehr schön dargelegt[1]: er ist einerseits der Grund für Kulturvermittlung (denn das Hermetische muss vermittelt werden, sonst erfüllen die Institutionen ihren öffentlichen Auftrag nicht), und andererseits ist gerade das Vermittelnde, das Anschlüsse-Machen dann auch immer wieder der Vorwurf an die Vermittlung: sie werde der Kunst nicht gerecht. Und manchmal, in ungeduldigen Momenten denke ich: vielleicht haben diese Institutionen die Vermittlung wirklich nicht verdient. Denn sie missbrauchen die Vermittlung als Legitimierung ihrer Existenz. Ich würde mir wünschen, dass hier die FördergeberInnen genauer hinschauen würden. Und ich wünsche mir auch, dass VermittlerInnen sich hier stärker und selbstbewusster positionieren würden.

Wo befinden sich die (institutionellen) Räume, in denen wir über unsere Kunst-Erfahrungen diskutieren können?

Überall. Es gibt keine Orte, wo Kunst nicht sein kann. Ich bin der Meinung, dass über ästhetische Erfahrungen zu diskutieren Allgemeinkultur sein sollte. Und ich habe den Verdacht, dass der kunstgeschulte Blick dafür manchmal eher ein Hindernis ist. Ich sehe in der digitalen Popkultur unglaublich viel Potential für ästhetische Erfahrungen, aber meistens passiert eine reflexartige Abwertung. Warum eigentlich? Ist kulturelle Verunsicherung nicht der Motor von ästhetischer Erfahrung? VermittlerInnen kennen die Situation umgekehrt ja sehr gut, wenn wir in Kulturinstitutionen stehen und mit der Verunsicherung unseres Publikums umgehen müssen. Ich wünsche mir oft, dass nicht immer so klar wäre, was die Kunst oder die Kultur jetzt genau ist. Dass wir das immer neu aushandeln müssen, ist für mich einer der interessantesten Aspekte der Vermittlung und der Kunst überhaupt.

Inwiefern kann Kunstvermittlung dem Publikum einen Handlungsraum eröffnen?

Das hängt davon ab, welchen Handlungsbegriff man verwendet. Ich würde für ästhetisches Handeln im weitesten Sinne plädieren. Und ja, ein Bewusstsein dafür zu schaffen indem sie dies vorlebt, halte ich für die Aufgabe der Vermittlung.
Die meisten Menschen glauben ja, Kunst findet im Museum statt, sie kennen keine Künstler*innen und waren noch nie in einem Atelier. Das Leben aber zu einem ephemeren Atelier machen, das ist wie Zaubern, nur viel schöner, weil das alle können.

Wann findest Du ist Kunstvermittlung gelungen? Wann findest Du ist Kunstvermittlung schwierig?

Gelungen ist Kunstvermittlung, wenn die Menschen angeregt nach Hause gehen – auch die KunstvermittlerIn. Wie bei jeder Begegnung. Schwierig finde ich Kunstvermittlung, wenn sie die normativen Setzungen von Institution und kultureller Ordnung verstärkt.

Gibt es eine spezielle Methode oder Strategie mit der Du aktuell arbeitest?

Ästhetische Forschung, feministische Theorie, dialogische Methoden und Humor.

Woran arbeitest Du gerade?

Ich organisiere gerade einige Workshops mit Künstlerinnen, auf die ich mich sehr freue. Und wälze ein paar Ideen, wie wir besser mit der digitalen Infrastruktur der Vermittlung umgehen können für einen Förderantrag. Infrastruktur beschäftigt mich gerade sehr, und die Frage, wie Praktiken Gemeinschaften hervorbringen können und umgekehrt.
Dann habe ich gerade ein Konzept für eine Abschlussausstellung mit einer befreundeten Kuratorin entwickelt, bin im Gespräch mit einem sich gerade neu aufstellenden Kunstraum, und arbeite an meiner Selbstdokumentation.

Welche Bücher, Projekte etc. sind für Deine Arbeit wichtig – und warum?

bell hooks: Teaching to Transgress. Weil sie darin einen umfassenden Bildungsbegriff formuliert, der mich sehr berührt, weil er all die normativen Aspekte von Bildung im Blick hat bei der Frage: how to teach for freedom? Darin liegen eine gesellschaftliche und ästhetische Dimension, die ich für sehr wichtig halte.

Constant: The Technogalactic Guide to Software Observation. Die von KünstlerInnen geleitete Kunstinstitution Constant aus Brüssel hat viele freie und äußerst anregende Methoden und Diskurse zu Technologie entwickelt, darin sind sie mein Vorbild. Und ich teile die Liebe zu Software als kulturelle Objekte, wie sie diese Publikation zum Thema hat.

Bauer / Heinemann / Lemke: Science and Technology Studies. STS eröffnen eine transdisziplinäre Perspektive auf Technologie und Wissen als kulturelle und soziale Phänomene, die für meine Arbeit sehr wichtig ist. In diesem Reader ist die Geschichte dieser Disziplin nachgezeichnet, mit vielen höchst interessanten Denkfiguren, die mich immer wieder inspirieren, andere Fragen zu stellen, und Fragen anders zu stellen.

Welche Frage würdest Du gerne einer/m KunstvermittlerIn stellen?

Was liebst du an deinem Beruf?

Wie stellst Du dir die Zukunft der Kunstvermittlung vor?

Ich wünsche mir eine Explosion der ästhetischen Praktiken. Ich stelle mir vor, wie aus der Kunstvermittlung eine Praxis heranwächst, die jegliche Werkbegriffe und Kategorisierung sprengt, die ästhetische Praktiken aller Arten aus den Türen des Museums hinaus in die Welt, in die Alltage der Menschen trägt. Ich glaube, ich bin da recht romantisch, aber mit einer kräftigen Prise Punk.

Shusha Niederberger *1974, arbeitet an der Schnittstelle von Technologie, Kunst und Kultur. Sie hat in Zürich und Wien bildende und digitale Kunst studiert und war danach an Kunstuniversitäten in Wien und Zürich als Assistentin und wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. Sie leitet seit 2014 die Kulturvermittlung am HeK (Haus der elektronischen Künste Basel) und unterrichtet seit 2015 als Dozentin an der F+F Schule für Kunst und Medien in Zürich zeitgenössische Netzkultur. Sie hat als wissenschaftliche Mitarbeiterin im SNF-Forschungsprojekt „creating commons“ (2017-2019) am IFCAR (Institute of Contemporary Art Research) an der ZHDK geforscht. Sie ist Mitglied der Schweizerischen Fachgesellschaft für Kunstpädagogik und der Schweizerischen Gesellschaft für Mechatronische Kunst, und hat 2017 das „electronnes“ Festival for Art, Technology and Women* organisiert. Sie spricht regelmäßig über die kulturellen Dimensionen des Digitalen.
www.shusha.ch
@shu_sha_

[1] Rahel Puffert: Die Kunst und ihre Folgen. Zur Genealogie der Kunstvermittlung. Transcript 2013

Veröffentlicht am 10.02.2020
Interview: Gila Kolb
Titelbild: Handyscreens als Untersuchungsgegenstände im Unterricht, F+F Schule für Kunst und Medien, Zürich, Oktober 2019